Freilichtmuseum Ballenberg

Freilichtmuseum Ballenberg

Arm und reich, klein und gross

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Nik Hartmann, Moderator

SCH. Wollschweinchen suhlen. Seidenraupen machen sich über Maulbeerbäume her. Ein kleines Taglöhnerhaus, ein prächtiger Bauernhof, ein imponierender Gutshof. Vergangenheit wird Gegenwart: An einem Tag kann man im Freilichtmuseum Ballenberg ob Brienz bequem durch die ganz unterschiedlichen Kulturkreise der Schweiz spazieren. Alle Tiere echt, alle Häuser original – ein Weg voller spannender Gegensätze.

 

„Gut behütet“, denkt man, wenn man auf das imposante Strohdach des Bauernhauses aus Oberentfelden blickt. Und „alles unter einem Dach“: Zwei Haushaltungen, Erntelager, Stall für das Grossvieh. Nur die Schweine waren ausserhalb untergebracht. Behäbiger Wohlstand in Bescheidenheit. Anders die prächtige Fassade des Bauernhauses – ebenfalls ein Vielzweckbau – aus Ostermundigen aus dem 18. Jahrhundert: Hier wohnten Menschen, die ihren Wohlstand gerne zeigten: Sie imitierten mit grauer Holzbemalung die Steinbauten der reichen Leute, verzierten die Fassade mit bunten Bildern. Und der Garten ist nicht mehr reiner Gemüselieferant, sondern barock gestaltet, der französische Einfluss in Sachen Gartenkultur ist spürbar. Denn erst Ende des 18. Jahrhundert wurde es Mode, Zierpflanzen zu kultivieren. Im 19. Jahrhundert dann brachten Forscher eine Pflanze aus Südafrika mit, ohne die man sich heute kein Bauernhaus mehr vorstellen kann: die Geranie.

 

Klein und dunkel

Nun mag der Eindruck entstanden sein, dass Landwirtschaft Wohlstand, gar Reichtum bedeutete. Dem war nicht so. Jetzt entdeckt man abseits gelegene kleine Taglöhnerhäuser, die sich oft in schattiger Hanglage ducken. Zum Beispiel das Haus aus Leutwil: Klein und dunkel. Ebenfalls eine Behausung für Mensch und Tiere – Ziegen, Kaninchen, Katzen. Die Taglöhner halfen im Sommer beim Heuen, im Winter im Wald. Oft gingen sie auch „auf die Stör“, d.h. sie zogen von Hof zu Hof und boten ihr Handwerk an: Nähen, Schlachten, Schleifen, Korbflechten … Vor allem im Winter muss es im Haus sehr eng gewesen sein: Der einzige beheizbare Raum im Leutwiler Haus misst 3.5 mal 3.5 m. Dort hielt sich dann die ganze Familie mit den Tieren zusammen auf. Klar, dass in den Gärten dieser Taglöhnerhäuser keine Zierpflanzen zu finden sind: Der letzte Winkel wurde für Nahrungspflanzen genutzt. Wer sich für Heilkräuter interessiert, findet 200 Arten im Garten der alten Drogerie.

 

Seide und Leinen

Von ganz klein bis ganz gross: Der Gutshof Novazzano aus dem Tessin hat 50 Räume und war von etwa 30 Menschen bewohnt. Vor allem der lauschige Innenhof wird heute gerne von Besucherinnen und Besuchern „heimgesucht“, bietet doch die „Osteria“ Tessiner Spezialitäten an. Aber eine ganz andere „Spezialität“ wurde im 19. Jahrhundert und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts  auf diesem Gutshof hergestellt: Seide. Denn die Seidenraupenzucht war damals der wichtigste Wirtschaftszweig im Tessin. Konkurrenz aus China und Japan sowie die Herstellung von Kunstseide setzten diesem ein Ende. 

Auf dem Gutshof Novazzano auf dem Ballenberg kann man – einzig in der Schweiz – heute die Seidenraupenzucht bis zum Abwickeln des Kokons miterleben. Was heute die Brutkästen übernehmen, machten früher die Frauen: Die Eier der Seidenraupen wurden in Leinensäckchen – in den Achselhöhlen oder auf der Brust getragen – „ausgebrütet“. Die geschlüpften Raupen, die bis zu 10 cm gross werden können, machen sich über die Blätter der Maulbeerbäume her; sie spinnen sich innerhalb dreier Tag in einen Kokon ein. Ihr Faden kann bis zu 3 km lang sein. Diese Kokons werden geerntet und zum Abhaspeln in heisses Wasser gelegt; eine sich drehende Bürste legt den Fadenanfang zum Aufspulen frei. Fünf bis 30 Fäden werden dann zu einem Seidenfaden versponnen, der vor dem Weben mit Naturfarbe eingefärbt wird. Diese letzten Arbeitsschritte werden auf dem Ballenberg in einer separaten „Seidenausstellung“ gezeigt.

Edle Seide – strapazierfähiges Leinen. Auch der Prozess vom hauseigenen Flachs bis zum fertigen Leinenstoff kann auf dem Ballenberg verfolgt werden. Besonders im Herbst, an der „Brächete“, kann man die Verarbeitung hautnah erleben.

 

Grosse und kleine Tiere

Von der kleinen Seidenraupe bis zum mächtigen Zugochsen, von der fleissigen Honigbiene bis zum schweren Ackergaul: Auf dem Ballenberg müssen alle Tiere ihre Arbeit tun. Dafür kann man die meisten von ihnen auch streicheln. Schliesslich ist man nicht in einem Zoo. Über 250 Bauernhoftiere sind zu sehen. Haustiere sind Teil der ländlichen Kultur – auf dem Ballenberg bekommt man, europaweit einmalig,  das komplette lebende Kulturgut eines Landes präsentiert. Viele der alten Haustierrassen sind heute verschwunden. Doch auf dem Ballenberg sind einige wieder zu finden: So fläzen sich die „Wollhaarigen Weideschweine“ wieder im Schlamm, das rätische Grauvieh bockt wie von je her und Spitzhaubenhühner rennen herum. Es gibt auch Ziegen mit Hängeohren und Schafe, die wie Pudel aussehen …

Noch mehr Gegensätze? Geräucherte Ballenbergwurst und Schokolade aus der „Chocolaterie“; Holzkohle und Seidenbänder; Steinofenbrot und Töpfe und Töpfchen. Alles selber gemacht und auf dem Ballenberg erhältlich. 

 

 

Freilichtmuseum Ballenberg

Auf 66 Hektaren kann man mehr als 100 originale, jahrhundertealte Gebäude aus allen Landesteilen der Schweiz, 250 einheimische Bauernhoftiere, ursprüngliche Gärten und Felder bewundern. Traditionelles Handwerk wird gezeigt – Spezialveranstaltungen laden zum Mitmachen ein.   Öffnungszeiten: Mitte April bis Mitte Oktober täglich von 10 bis 17 Uhr. Info Ballenberg: www.ballenberg.ch, info@ballenberg.ch, Tel. 0041 (0) 33 952 10 30.


Copyright Angelica Schorre[br] Source: http:// https://www.schorre.ch/de/text/reportagen/_freilichtmuseum_ballenberg1.htm