Gudrun Turner

Gudrun Turner, Leiterin von Wildpflanzenexkursionen

Frau Löwenzahn

Gudrun Turner

Text und Fotos: Angelica Schorre

Ein Salat aus Wildkräutern, Brot mit Blümchenbelag – Wildpflanzenexpertin Gudrun Turner aus Saas im Prättigau zeigt, wie’s geht. Vor allem eines ist ihr aber auf ihren Exkursionen wichtig: Den Teilnehmern die Wildkräuter- und Heilpflanzenwelt mit allen Sinnen erlebbar zu machen.

 

„Hallo, Gudrun“, rufen zwei Kinder, die den Hang nach Saas herunterspringen, den der Schnee noch nicht lange freigegeben hat. Sie bremsen, betrachten ein dickes Haarbüschel auf der Wiese. „Gudrun, was ist das? Rehfell?“ Gudrun Turner ruft zurück: „Nein, Hirschhaare. Mit denen könnt ihr euch einen Pinsel basteln.“ Die Kinder hüpfen mit den Hirschhaaren weiter. Nun, zu den Hirschen, die nachts um die oberen Häuser von Saas im Prättigau ziehen, hat Gudrun Turner ein zwiespältiges Verhältnis, denn die Tiere fressen die frischen Triebe ab, machen auch vor Bärlauch nicht halt. Diesen schützt Gudrun Turner mit einem Drahtkorb. Die Wildkräuterexpertin zeigt hinter ihrem Haus und im noch – fast – leeren Garten auf kleine grüne Winzlinge, die der Laie kaum wahrnimmt. Die ersten Blättchen des Wiesenschaumkrauts, der Gundelrebe, des Löwenzahns, des Wegerichs, des Gierschs, der Schafgarbe, Blüten und Blättchen von Gänseblümchen und Veilchen – alles essbar. Man probiert und ist erstaunt: Süss, bitter, herb, nussig… Gudrun Turner lacht und lädt zu Tannenspitzensirup ein.

 

Geliebte Madrisaregion

Gudrun Turner ist seit vielen Jahren Wander- und Schneeschuhwanderleiterin (BAW/BWL). Aber nicht „nur“ das. Sie hat zum Bespiel in Deutschland als Arztgehilfin gearbeitet und als Kinderhortbetreuerin, Eventmanagerin, Freizeitpädagogin im Prättigau. „Heute habe ich mir mein Hobby zum Beruf gemacht“, sagt die 57-Jährige, „Themenwanderungen für Kinder und Erwachsene zu Wildkräutern, Heilpflanzen – was man unterwegs alles so findet.“ Die zierliche, lebhafte Frau ist in ihrem Element und sprudelt vor Begeisterung, wenn sie von ihrem Lieblingswander- und Skigebiet erzählt: die Madrisaregion ob Klosters. Sie beschreibt die verschiedene Flora auf Kalk- und Urgestein, klar voneinander abgetrennt auf dem Rätschenjoch. Auf ihren Exkursionen möchte sie den Teilnehmenden die Augen für die Pflanzenwelt öffnen, diese mit allen Sinnen erlebbar machen.

 

Brennnessel und Löwenzahn

Gudrun Turner ist seit über 30 Jahren mit einem „waschechten Saaser“ verheiratet. Aber ihre Liebe zu den Kräutern begann nicht erst in der Schweiz. Bereits als 10-jähriges Mädchen interessierte sie sich in Süddeutschland für Kräuter und deren Wirkungen. Wie das kam? Etwas drastisch… „Ich war in Brennnesseln gefallen. Das brannte natürlich. Intuitiv rieb ich die betroffenen Stellen mit der Milch des Löwenzahns ein – das Brennen hörte auf.“ Von da an forschte sie in Büchern und Zeitschriften nach Kräuterwissen, schrieb und zeichnete alles säuberlich in ein Heft, machte Selbstversuche. Gudrun Turner springt auf und holt das Heft. Mittlerweile sind die Unterlagen auf viele Ordner angewachsen. Ein Extrakt ist das Begleitheft zu Wanderungen „Wildkräuter-Notfallapotheke für unterwegs, Direktanwendung von Heilpflanzen“ mit selbstgezeichneten Pflanzen, das bereits in zweiter Auflage im Eigenverlag erschienen ist. Gudrun Turner erzählt, wie eine Kollegin auf einer Wanderung über eine Blase an der Ferse jammerte. Sie empfahl, ein Huflattichblatt aufzulegen und mit der Socke zu fixieren, und erntete ein „Schpinnsch?“. „Die kleinen Blätter sind auf der Unterseite ganz samtig, mit dieser legt man das Blatt auf die Blase; vorher den Stiel entfernen, sonst gibt es eine Druckstelle. Wegerich ist auch gut.“ Die Kollegin probierte es dann doch aus und vergass die Blase auf der weiteren Wanderung völlig. Gudrun Turner erzählt von Erlebnissen mit Kindern: Zerquetschte Blätter des Stinkenden Storchenschnabels gegen den Ausschlag einer Korbblütlerallergie, Wegerichblätter auf Insektenstiche, Alpenampfer-Verbänden (Blacke) und kommt immer wieder auf den Löwenzahn zurück. Das Beispiel mit der Brennnessel und der Milch aus dem Stängel des Löwenzahns gehört ins Erlebnisprogramm, vor allem mit Kindern. Sie fragt die Kinder, ob die Brennnessel heute wohl ihren Ruhetag habe und nicht brenne. Falls die Nessel das selber nicht weiss, gebe es mit Löwenzahn und Wegerich, grad neben dieser wachsend, zwei Gegenmittel. „Solche Erfahrungen vergessen Kinder und auch Erwachsene nicht.“

 

Wie der Löwenzahn

„Eigentlich bin ich wie der Löwenzahn: erdverbunden, meine blonden Haare sind echt“, sie lacht, „und mein Wissen möchte ich wie die Samen der ‚Pusteblume‘ weit streuen, weitergeben.“ Und natürlich hat Gudrun Turner Pläne für die Zukunft: „Ich möchte Kurse in Wildnispädagogik für Erwachsene besuchen, lernen, wie man in der Natur überleben kann.“ Ohne Streichholz Feuer machen, sich ohne Hilfsmittel orientieren. Und auch, wie man sich mit Wildpflanzen ernähren kann; das ist dann ihr Beitrag.

 

Info: Gudrun Turner, Quadera 68a, Saas im Prättigau, Tel. 081 332 10 96. www.naturerlebnisse.ch.

Copyright Angelica Schorre[br] Source: http:// https://www.schorre.ch/de/text/reportagen/_gudrun_turner.htm