Meret Bissegger

Meret Bissegger, „wilde“ Köchin

Freche, wilde Köchin

Meret Bissegger, „wilde“ Köchin

Text und Fotos: Angelica Schorre

Sie liebt das Abenteuerliche, das Überraschende in der Küche: Meret Bissegger zaubert aus einheimischen Wildpflanzen Köstlichkeiten. Da sind kein Giersch und kein Gänseblümchen vor ihr sicher. Und die Bio-Hühnermägen aber auch nicht. „Tavolata“-Gäste danken’s ihr.

 

Auf dem grossen Gasherd blubbert’s in verschiedenen Töpfen, Ingwerduft mischt sich mit dem Meergeruch von Algen. Meret Bissegger schabt, schneidet, reibt: Am Abend haben sich elf Gäste für eine Tavolata in ihrer Casa Merogosto in Malvaglia (TI) angemeldet, am nächsten Abend sind es 22. Meret Bissegger steht bereits den zweiten Tag in der Küche und blickt kein bisschen erschöpft, sondern ausgesprochen unternehmungslustig in ihrer grossen, hellen Küche herum. „Ich bin frech“, meint sie, „ganz viele Gerichte koche ich für eine Tavolata zum ersten Mal. Wird’s etwas? Wird’s nichts? Nun, meistens wird’s etwas.“ Sie wirft einen Blick auf das Regal mit den ziemlich abenteuerlich heissenden Gewürzen aus aller Welt, wechselt zu dem mit den aromatischen Kräutern. „Meine Schaltzentralen“, erklärt sie und wirft etwas in den Topf mit den – ja was? – Würsten? „Cicitt“, erklärt sie, „Ziegenwürste aus dem Maggiatal. Eigentlich werden sie, da sehr fett, gegrillt. Ich koche sie mit Schwarzkohl.“ Das Telefon läutet nicht zum ersten Mal an diesem Nachmittag. „Pronto? – Ecco. – Grazie.“ Am Abend vorher wurde im Schweizer Fernsehen der vierte Teil einer Doku über Meret Bissegger ausgestrahlt – Freunde rufen an und gratulieren. Sie klemmt sich das Handy zwischen Kinn und Schulter und schneidet energisch Lauch in Ringe.

 

Von der Alp in den Topf

Bekannt geworden ist Meret Bissegger vor allem durch die Verwendung von Pflanzen, die rund ums Haus oder in der näheren Umgebung wachsen: Giersch zum Beispiel als Salat, Steinwurz wie Artischocken zubereitet, Huflattich gebraten. Auf die Idee, sich die einheimischen Wildpflanzen einmal näher anzusehen und auf ihre „Essbarkeit“ zu prüfen, kam sie vor 30 Jahren auf einer Alp, wo sie den Sommer über arbeitete und das gleichtönige Essen dort bald satt hatte. Die Folgen: Erste Ideen, vor allem im Bereich der Gewürze, konnte sie in der winzigen Küche der Buvette des Dimitri-Theaters umsetzen. Neue „wilde“ Gerichte mit einheimischen Pflanzen, die bei den Gästen oft mehr als gelindes Erstaunen auslösten, konnte sie dann während elf Jahren im eigenen Restaurant Ponte dei Cavalli in Cavigliano im Centovalli ausprobieren; 14 Gault-Millau-Punkte waren – dies mehrmals – die „offizielle“ Anerkennung. Neue Gerichte – Neuorientierung im Leben: Vor gut zehn Jahren verkaufte Meret Bissegger das Restaurant und spezialisierte sich auf Beratungen, Catering, Kochkurse. Letztere bietet sie zusammen mit den Tavolate seit ein paar Jahren in ihrer Casa Merogosto an.

 

Das ganze Tier

Meret Bissegger stellt den Mixer ab, begutachtet die Randen für einen ihrer drei geplanten Dips. „Die Randen bekommen ja im Dampfkochtopf eine andere Farbe…“ Sie mischt Mandelpürée bei: „Ein ganz tolles Bindemittel.“ Und ist mit der Farbe der Randen versöhnt. „Ich habe mein Leben nie geplant“, sagt sie, „ich bin einfach eine Macherin.“ Sie dreht eine Linsenmischung für die Pâté durch den Fleischwolf. „Früher dachte ich, dass alles im richtigen Moment auf mich zukommt. Heute passe ich mich eher den Umständen an, bemühe mich, das Gute zu sehen.“ Sie holt aus dem Nebenraum eine Schüssel mit Hühnermägen. Die gibt’s am Abend in einer  Safransauce mit Bulgur serviert. Die Hühner sind von Nicoletta aus dem Dorf, das Hochlandrind – das sie arabisch zubereiten wird – aus dem Bleniotal. „Wenn ich schon ein Tier umbringen muss, dann möchte ich möglichst viel von diesem verwenden.“ Nur die edlen Stücke gebrauchen – das gibt es bei ihr nicht. Für ihre Küche verwendet Meret Bissegger ausschliesslich Bio-Produkte, auch ist sie in der Slow-Food-Bewegung engagiert. Daraus folgt, dass ihre Rezepte sich nach den Jahreszeiten mit ihren Angeboten ausrichten. „Ich möchte eben nicht auf das Kochen mit Wildpflanzen reduziert werden“, hält sie fest und betrachtet den frisch gewaschenen Catalonia, eine Art Löwenzahn, kritisch. „Klar, im Frühling kann ich die ersten Kräuter kaum erwarten. Jetzt im Herbst freue ich mich auf die erste Bodenrübe – und die verschiedenen Kürbissorten sind einzigartig.“ Sie schneidet für den asiatischen Salat das Fleisch eines rohen Moschuskürbis in feine Streifen, Chinakohl und die gekochten Algen kommen dazu…

 

Mit Salz und Öl unterwegs

Fast „Selbstversorgerin“ ist Meret Bissegger auf ihren Wanderungen. „Salz und Olivenöl habe ich immer dabei“, beschreibt sie ihre „Grundausrüstung“, „meist auch Farina bona, das ist ein Mehl aus gemahlenen Maiskörnern. Etwas Wasser zum Mehl, einen Klumpen machen, vielleicht ein paar Kräuter beimischen – und fertig ist die Verpflegung.“ Sie sammelt unterwegs, je nach Region, Sauerampfer, Spitz- und Breitwegerich, Klee, Leimkraut, wilden Knoblauch… „Eigentlich sind alle Pflanzen, die nach Knoblauch riechen, essbar“, erklärt sie. Aber eben. Man solle nur essen was man kennt. „Da lohnt es, sich Wissen anzueignen. Zum Beispiel einen Kurs zu besuchen.“ Etwa in der Casa Merogosto, in deren Garten ein grosses Hochbeet –  bekannte und weniger bekannte – aromatische Kräuter sowie Unkräuter zum Anschauungsmaterial vereint.

Am Abend ist die Küche aufgeräumt; Dips, Dicke-Bohnen-Pürée und Lauch-Krautstiel-Farina-bona-Crème stehen zum Aperitivo bereit. Die ersten Gäste kommen. Auf sie wartet ein spannendes, kulinarisches Abenteuer. Ein Abenteuer, das nach Ziegenwurst, Lauch und Ingwer duftet.

 

Info: Meret Bissegger, La Cucina Naturale, Casa Merogosto, 6713 Malvaglia TI. Tel. 091 870 13 00, meret@meretbissegger.ch, www.meretbissegger.ch

Buch: Meret Bissegger, Meine wilde Pflanzenküche – Bestimmen, Sammeln und Kochen von Wildkräutern. 320 Seiten, über 400 Farbfotos. AT Verlag, Aarau und München. CHF 49.90.

NZZ-Format Package, „Küche der vier Jahreszeiten“ mit Meret Bissegger: 4 x 30’ Doku-Film & Kochbuch mit allen Rezepten auf 144 Seiten, CHF 49.90.

Copyright Angelica Schorre[br] Source: http:// https://www.schorre.ch/de/text/reportagen/_meret_bissegger.htm