Presseartikel NZZ 2003

© Neue Zürcher Zeitung; 03.12.2002; Nummer 281; Seite 61

Fernsehen Text (RADIO/FERNSEHEN)
Am Radio

Schröckliches zu vormitternächtlicher Stunde
rer. Sie haben den anhaltenden Trend zu Kurzhörspielen vorweggenommen und seit ihrer Lancierung am 5. November 1975 im Programm des damaligen Landessenders Beromünster offensichtlich nichts von ihrer Attraktivität eingebüsst: Die «Schreckmümpfeli» sind fraglos eine Erfolgsgeschichte, die jetzt mit gutem Grund fortgeschrieben wird. Fritz Zaugg, Leiter der federführenden DRS-1-Hörspielredaktion, erkennt in den ironischen Kurzkrimis denn auch eine veritable «Kultsendung» mit Label-Charakter, ablesbar auch am florierenden Absatz der mittlerweile drei «Best of Schreckmümpfeli»-CD. Bei dieser Verwertung der zwischen 1975 und 1989 entstandenen knapp tausend Folgen der Langzeitserie sollte es indes nicht bleiben. Vielmehr drängte Zaugg auf die Wiederaufnahme der vergleichsweise günstigen Erfolgsproduktionen, zumal das Projekt einer mit dem Winterthurer Peter Stamm an die Hand genommenen Radio-Soap unter anderem aus Kostengründen vorerst zurückgestellt wurde. Das laut Zaugg in intensiver Zusammenarbeit gewonnene «gute Grundlagenmaterial» soll dereinst in ein zweiteiliges Hörspiel einfliessen und auf diesem Weg «witzige und schräge» Facetten eines Autors offenbaren, der gleichwohl für Tiefgang bürgt.
Ohne Verzögerung realisiert werden konnte immerhin das ebenfalls von Zaugg anvisierte «Schreckmümpfeli»-Comeback. Seit einem Monat (und vorerst bis Jahresende) sorgen auf den beiden Kanälen DRS 1 (montags) und DRS 3 (dienstags) zu vormitternächtlicher Stunde samt und sonders Neuproduktionen für radiophone «Bettmümpfeli», die freilich kaum immer als Einschlafhilfe taugen. Fast durchwegs bestandene Deutschschweizer Autoren haben (wieder) fürs Radio geschrieben und sind laut Zaugg durchaus gewillt, dies auch weiterhin zu tun. Was aber zeichnen denn Texte aus, die sich das Prädikat ««Schreckmümpfeli»-tauglich» verdienen? Zaugg erwartet zum einen Ironie, zum andern eine nachvollziehbare Handlung, die beileibe nicht immer moralischen Grundsätzen verpflichtet sein muss und durchaus auch einmal «politisch unkorrekt» daherkommen darf. Bei dieser Gelegenheit hat Zaugg auch die hörspieltaugliche Prosa von Michael A. Praetorius für sich entdeckt und eine Auswahl von Kurzgeschichten bearbeitet. Deren zwei umrahmen unter den Titeln «Schlamperei» und «Geschäft ist Geschäft» nun unterschiedlich (auf)schreckende Hörstücke, die mit überraschend endenden Geschichten aufwarten und gleichzeitig «konventionelle» Inszenierungen versprechen. Angesagt sind somit «nicht unbedingt Experimente», sondern solid erzählte Kurzkrimis, die ohne Umschweife Spannung aufbauen.
Bestens gelungen ist dies etwa Roger Graf («Die haarsträubenden Fälle des Philip Maloney») mit «Jägerlatein». Leo und Fred kommen auf ihrem Hochsitz rasch zur Sache. Es geht um die Jagd auf Frauen, im Besonderen um jene auf die Partnerinnen von Jagdkollegen - für den gewohnheitsmässig wildernden Leo ein Frevel mit bösen Folgen. Noch erheblich ungemütlicher mögen es Fritz Sauter («Ein edler Spender») und Urs Widmer («Der Gärtner»): Der eine lässt einen heruntergekommenen Organspender namens Züsli kurzerhand vor die Hunde gehen, der andere beschwört die Mär vom Menschen verzehrenden Geschlecht der Oger.
Einigermassen mithalten können da auch Charles Lewinsky mit seiner diese Woche auf dem Programm stehenden, brutal ausgehenden Mörderballade «Meier, Hans-Ulrich» und Angelica Schorre[100] mit ihrer grauslichen «Aufforderung zum Tanz», derweil Routinier Ulrich Knellwolf für ein fast schon verträgliches «Schlafmittel» garantiert und Lukas Hartmann «Eine Frage der Verpackung» für eine einschlägige Antwort nutzt.
Bei allem Spielraum in Sachen inhaltlicher und dramaturgischer Freiheiten verbindet diese kriminalistisch beseelten Hörspielhäppchen (mit und ohne Erzähler) in erster Linie die Handschrift erprobter Regisseure wie Geri Dillier, Margret Nonhoff, Reto Ott und Fritz Zaugg, die von aufreizendem Beiwerk absehen und sich dabei auf tragende Stimmen verlassen können. Mehrfach gewinnbringend zum Einsatz kommen etwa mit Hanspeter und Renate Müller, Norbert und Siggi Schwientek, Hans Schenker und Urs Bihler Darsteller, die dank wandlungsfähiger Intonation Feinheiten transportieren, ohne die Stimmbänder zu forcieren. Eine Vorgabe, der hoffentlich auch weitere Neuproduktionen gerecht werden, die künftig zu einem Drittel die Neuauflage der «Schreckmümpfeli» (samt legendärem Signet und dem vertrauten Lockruf von Rainer zur Linde) ausmachen sollen.

Roland Erne


Copyright Angelica Schorre[br] Source: http:// https://www.schorre.ch/de/presse/presseartikel_nzz_2003.htm