Planetenweg: Sommer in der Galaxie

Erschienen in der „Berner Zeitung“

Mit jedem Meter, den man zurücklegt, legt man eigentlich eine Million Kilometer zurück - so kann recht bequem unser Sonnensystem durchquert werden. Der Planetenweg auf dem Weissenstein erzählt von diesen Dimensionen der anderen Art.
Der Jura ist wirklich blau. Die Hügelzüge verlieren sich in sanften Farbabstufungen am Horizont. Auf dem Weissenstein ob Solothurn reibt einem der Wind den Duft des ersten Grasschnitts unter die Nase. Klar, es ist Sommer. Und das Mittelland ist in einem Meer aus Dunst versunken, aus dem ein paar Schneespitzen wie gut getarnte Sommerwölkchen auftauchen. Ab und zu blinkert die Aare. «Die da unten», denkt man, «wir hier oben.» Und die Welt ist auf 1200 Metern soweit in Ordnung.
Dies allerdings nur bis einem einfällt, dass sich das Weltall ausdehnt. Und wohin bitte? Ins Nichts. Und so abwegig ist die-ser Gedanke nicht: «Eh, lueget, d´Sunne», sagt ein Wanderer zu seinen Kindern und läuft forsch an der Sonne vorbei.

«Slunce» und «Grian»
Mit dem Modell der Sonne beginnt der Planetenweg, der sich in Richtung Grenchenberge auf gut sieben Kilometern über die erste Jurakette schlängelt. Und einfach so am Mittelpunkt unseres Sonnensystems vorbeilaufen, das ist doch wirklich überheblich. Oder wurde da bis anhin nicht verschmerzt, dass sich nicht alles um die Erde dreht? «Slunce», «Zon», «Grian», «Sulegl» - in fast allen Sprachen dieser Welt kann man das Wort Sonne auf der Säule lesen. Die Sonne scheint für alle und wurde in fast allen Kulturen als Gottheit verehrt. Aber unsere Sonne ist nur eine Sonne unter vielen anderen im All.
Wer will, kann jetzt an die eben auf der Terrasse des Kurhauses gegessenen «Älplermagrone» denken und dann sofort daran, dass das Licht fremder Galaxien oft Jahrmillionen zu uns unterwegs ist. Wer diesen Gedanken ohne metaphysischen Schauer aushält, den kann wohl auch sonst nichts mehr erschüttern. Wenn man sich auf den «Tierkreis-Bänken» rund um die Sonne genügend auf den Weg aus Jurakalk durchs All eingestimmt hat, kanns losgehen. Aber der erste Schritt sollte gut überlegt sein. Denn: Ein Schritt des Wanderers entspricht dem 15- bis 20-fachen Erdumfang. Der Massstab beträgt 1 : 1 Milliarde. So sind es zum Planeten Merkur nur ein paar Meter zu laufen. In Wirklichkeit schwankt seine Entfernung zur Sonne zwischen 46 und 70 Millionen Kilometer. Merkur - Mercurius ist der römische Gott des Handels - ist wegen seiner Sonnennähe von der Erde aus nicht gut sichtbar. Astronomiefreaks und solche, die es werden wollen, können sich auf den Planetentafeln über Abplattung - das ist die durch die Rotation bewirkte Abweichung von der Kugelform -, Masse, Atmosphäre und vieles mehr schlau machen.

Abend- und Morgenstern
Zur Venus, die als Abend- und Morgenstern ja eine gute Bekannte von uns ist, sind es vom Merkur nur 50 Meter. Die Göttin der Liebe hält sich mit einer dichten Wolkendecke bedeckt und rotiert in einem Abstand von etwa 108 Millionen Kilometern um die Sonne. Kommt jetzt als nächster Planet die Erde oder der Mars? Wie heisst doch noch einmal schnell die Eselsbrücke? «Mein Vater Erklärte Mir Jeden Samstag Unsere Neun Planeten.» (Merkur, Venus, Erde, Mars, Jupiter, Saturn, Uranus, Neptun, Pluto.) Also die Erde.
Die Erde schwebt mit ihrem - zur Freude der Kinder an einem beweglichen Bügel befestigten - Mond über einem Rest farbenprächtiger Sommerwiese. Dem Laien bedenklich scheint das Alter der Erde: 4 500 000 000 Jahre, gerade mal 100 000 Jahre durchstreift sie der Mensch. Und dies auf lediglich 29 Prozent Landfläche - 71 Prozent der Erdoberfläche besteht aus Wasser. Da schaut man zur Sonne auf, die freundlich scheint und etwa 150 Millionen Kilometer entfernt ist. Bunte Gleitschirme am Himmel, Segelflugzeuge sirren, und ein paar Schritte weiter wartet bereits der Mars. «Phobos, Deimos», buchstabiert ein Mädchen die Namen der Marsmonde. «Das heisst Furcht und Schrecken», kommentiert die Mutter - das Mädchen springt davon.

Asteroid und Bläuling
Nun werden die Abstände zwischen den Planeten merklich länger. Zwischen Mars und Jupiter sollen sich viele Planetoiden und Asteroiden tummeln. Auf dem Weissenstein taumeln lediglich Bläuling und Kleiner Fuchs vorbei. Mit dem Standort des Jupiters, der etwas erhöht über dem Weg liegt, hat man etwa 770 Millionen Kilometer zwischen sich und die Sonne gelegt - oder 778 Meter auf dem Juraweg. Der grosse rote Fleck auf dem Jupiter ist ein Wirbelsturm, der um den grössten Planeten unseres Systems rast. In sanften Wellen streichelt ein Wind über die Sommerwiesen. Wie ein verblichenes Aquarell liegt das Mittelland in der Mittagssonne, von der der Saturn etwa 1400 Millionen Kilometer entfernt ist. Saturn, so auch der Name des römischen Gottes der Saaten und der Fruchtbarkeit, ist der «Herr der Ringe» - ein Ring aus Gesteinsbrocken umgibt ihn.
Der Weg zweigt vor dem Restaurant Hinter Weissenstein ab, das in der Nähe des bekannten Höhlensystems Nidleloch liegt. Beim Uranus hat man knapp drei Kilometer zurückgelegt, und erst jetzt fällt auf, dass man von jedem Planeten aus das Sonnenmodell beim Kurhaus sehen kann.
Planetenweg
So auch vom Neptun, hinter dem die Wäsche des Restaurants Althüsli flattert. Von hier lässt sich der Weg über den Weissenstein wunderbar zurückverfolgen. Nur der Pluto im Perihel (Sonnennähe) und der Pluto im Aphel (Sonnenferne) liegen im Abseits: Zwischen ihnen und dem Neptun liegt mit gut 1300 Metern die Stallflue. Und man merkt erst bei diesen beiden Modellen so richtig die wirklich grosse Distanz, liegen sie doch fast anderthalb Kilometer auseinander.
Und da sitzt man nun, vom Wandern etwas müde, zu Füssen des Pluto im Aphel und spürt: Das Wir-hier-Oben und das Ihr-da-Unten haben eine andere Dimension angenommen. Ein Laufkäfer hastet vorbei, nimmt Kurs auf einen Goldpippau, der sich neben dem Gelben Enzian duckt.

Angelica Schorre
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