HR Giger

Erschienen in „The Pearls of Switzerland“

Das Zuhause des Ausserirdischen

H.R. Giger

Seit zehn Jahren wohnt das ausserirdische Monster Alien im idyllischen Fondue-Städtchen Greyerz in der Schweiz.  Genauer im HR Giger Museum, im Schloss Saint-Germain. Aliens Schöpfer und Schlossherr ist der Meister des Phantastischen Realismus, Hans Ruedi Giger.

Malerisch liegt das mittelalterliche Städtchen Greyerz auf dem Hügel. Touristen erobern das autofreie Kopfsteinpflaster, erstehen Fondue-Mischungen, T-Shirts mit glücklichen Kühen und liebäugeln mit Himbeeren an Sahne. Sie schlendern an den malerischen Häusern vorbei zum Schloss hoch – und bleiben auf dem Weg überrascht stehen. Von alten Mauern grüsst Alien auf dem Plakat „10 Jahre HR Giger Museum“. Gegenüber die HR Giger Bar. Dort sitzen Besucher auf Sesseln, die für das ausserirdische Volk der Harkonnen gemacht sind, unter einem Gewölbe aus Wirbelsäulen und genehmigen sich einen Drink. „Wir fühlen uns ein wenig wie Jonas im Walfisch“, meint ein junges Paar, „aber es ist sehr gemütlich.

Giger polarisiert
Dieses „Jonas-im-Walfisch“-Gefühl überkommt einen auch im Museum. Nur gemütlich ist es nicht: Schwarzer Hieroglyphen-Boden, schwarze Wände; Bilder und Skulpturen, die faszinieren und abstossen, die aber immer mit ihrer detailgenauen, äusserst eleganten Ästhetik bestechen. „Giger ist der Grösste“, sagt eine Besucherin und rennt aufgeregt zum nächsten Bild. „Bedrückend und morbid“, meint ein älterer Herr, „aber ich bewundere seine Technik.“ Giger polarisiert. Sein Museum und seine Bar wirken in dieser Bilderbuchidylle wie von einem anderen Planeten, machen einen spannenden Gegensatz aus, der die „heile Welt“ aufreizend relativiert. Jedenfalls ist es, gelinde gesagt, ein Kontrast, wenn man aus der Welt des Städtchens Gigers Reich betritt, das von dem grossen Alien-Modell mit seinen Entwürfen und Figuren beherrscht wird. Für die Figur des Alien und die ausserirdischen Landschaften im gleichnamigen Blockbuster von Ridley Scott erhielt Hans Ruedi Giger 1980 den Oscar für „Best Achievement in Visual Effects“.  Auch an weiteren Filmen wie „Alien III“ und „Poltergeist II“ war Giger massgeblich beteiligt. Für „Species“ entwarf er die ausserirdische Schöne Sile. Eine Kopie des Oscars steht im Museum in einer Nische in der Nähe des schwarzen Harkonnen-Esstischs mit seinen Stühlen, über ihnen schwebt eine Eisenbahn – jeder Wagon ein Schädel.

Im Lebendigen das Mechanische
Seine Bilder zeigen eine eindrückliche, oft als qualvoll empfundene Symbiose von Mensch und Maschine – seine Biomechanoiden –, von Eros und Tod. Im Lebendigen betont Giger das Mechanische. Im Mechanischen das Lebendige? Die Bilder zeigen Landschaften aus Baby-Köpfen, aus Metallteilen und Schädeln. Geheimnisvolle Schönheiten blicken – mit Hörnern versehen, von Polypenarmen umfangen – den Besucher an, schauen durch ihn hindurch in was für Fernen auch immer. „Geburtsmaschinen“ regulieren die Überbevölkerung. Bilder aus dem „Necronomicon“ und „Dune“. „Passages“ wie schlechte Träume. Was für ein Mensch ist dieser Künstler?

Burgen und Mumien
Hans Ruedi Giger, 1940, ist in Chur aufgewachsenen und sollte wie sein Vater Apotheker werden. Schon als Bub interessierten ihn Schlösser, Burgen und Geheimgänge, ganz besonders aber hatte es ihm die Mumie einer ägyptischen Prinzessin angetan, die damals im Gewölbe des Rätischen Museums zu sehen war... Giger studierte Architektur und Industriedesign an der Kunstgewerbeschule Zürich. Anfangs malte er mit Tusche und in Öl, dann entdeckte er für sich die Air-Brush-Technik, in der er seine bekanntesten Bilder und Zyklen schuf, aus denen er auch seine Tarotkarten zusammengestellt hat. Seine Poster verkauften sich weltweit, Plattencover schuf er für Dead Kennedys, Debbie Harry und Danzig. International bekannt geworden ist er vor allem durch seine Arbeiten für die Filme.

„König des Horrors“
Mit ‚Alien‘ hat man mich zum König des Horrors gestempelt. Meine Feinde nennen mich seitdem einen grossen Dekorateur“, blickt Hans Ruedi Giger zurück. Der Künstler sitzt in einem seiner Harkonnen-Sessel in einem Reihenhaus in Zürich, das er mit seiner Frau Carmen Scheufele bewohnt, sie ist Direktorin des Museums. Wieder fühlt man sich wie Jonas im Walfisch. Alles schwarz. Schädel, Urnen, ein grosses Bild für einen verstorbenen Künstlerfreund, Prospekte. Eine kleine Siamkatze spielt herum. „Das ist Bünggeli“, stellt Giger die Katze freundlich vor. Weisser Haarschopf über einem offenen und sensiblen Gesicht, schwarze Kleidung. Liebenswürdig, charmant. So hat man sich den „King of Horror“ eigentlich nicht vorgestellt. „Aber nun“, nimmt er den Faden wieder auf, „die Anerkennung der etablierten Kunstszene kommt langsam.

Monumentales Gesamtkunstwerk
Untertreibt er? Seine Ausstellungen sind nicht zu zählen, seine Publikationen zahlreich; erst vor kurzem ist bei Taschen ein umfassender Bildband über sein Werk, sein Leben, seine Freunde erschienen. Ende Januar 2009 eröffnete das Deutsche Filmmuseum in Frankfurt am Main eine grosse Sonderausstellung über sein Filmdesign (bis 17. Mai 2009), die auch in London und Paris präsentiert werden soll. Das Bündner Kunstmuseum Chur zeigte 2007 die schweizweit erste retrospektive Ausstellung „HR Giger – das Schaffen vor ‚Alien‘, 1961 – 1976“, dies nach seinen grossen Ausstellungen in Paris, Prag und Wien. In Chur wurde ihm Ende 2007 für sein „monumentales Gesamtkunstwerk“ der angesehene Willy-Reber-Kunstpreis überreicht. Giger nickt zustimmend. „Aber von Zürich habe ich noch nicht viel gehört. Nun, ‚Alien‘ wird 30 und ich werde bald 70 Jahre alt, vielleicht…“ Er lacht.

Das Warten auf die Reiter
Es scheint, als ob Hans Ruedi Giger seine Spritzpistole, seinen „Luftpinsel“, endgültig auf die Seite gelegt hat. Seit 1992 malt er nicht mehr. „Die Bilder sind nicht mehr fertig geworden, ich habe nur noch ‚verschlimmbessert‘.“ Seitdem sortiert er sein umfangreiches Werk, stellt Bilder für Ausstellungen zusammen. Schreibt seine Träume auf, zeichnet ins Tagebuch. Alpträume? Er erzählt, dass er früher in den „Passages“ einen wiederkehrenden Erstickungstraum verarbeitete, in „Nightmare“ Badezimmerphobien. „Nein, nein, heute geht’s mir gut“, sagt er und versucht die Katze zum Sprung vom Regal auf den Tisch zu bewegen, „nur ab und zu ein beengender Traum von einer Gruft oder einem Sturz in die Tiefe.“ Aber eigentlich würden die Träume sein Schaffen nicht sehr beeinflussen. „Die Situation bestimmt, was ich mache.“ Er schliesst nicht aus, dass er eines Tages wieder mit dem Malen beginnen wird. „Ich denke über die vier apokalyptischen Reiter nach. Im Atelier habe ich alles zum Arbeiten vorbereitet. Ich muss doch parat sein, wenn ich einen künstlerischen Anfall bekomme.“ Den wird er nachts bekommen, denn über Tag schläft er.


HR Giger Museum, Château Saint Germain, CH-1663 Greyerz. Öffnungszeiten Museum: April bis Oktober 10 bis 18 Uhr, November bis März Dienstag bis Freitag 13 bis 17 Uhr, Samstag und Sonntag 10 bis 18 Uhr. Öffnungszeiten HR Giger Bar: April bis Oktober 10 bis 20.30 Uhr, November bis März Montag geschlossen.


Angelica Schorre

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